Man möchte ja denken, dass beim Deutschlandfunk Menschen arbeiten, die mit Kritik umgehen können. Schließlich kritisieren sie ja selbst nicht gerade wenig. Nun, wer das dachte, der wurde gerade bei einem sehr sensiblen Thema des Besseren belehrt. Kurze Rückblende für die, die den Beginn eines Schwalls an Kritik am DLF verpasst haben:
Am 10. Februar um 7.50 Uhr lief im Deutschlandfunk ein Beitrag des Sachsen-Korrespondenten Alexander Moritz. In dem Stück „Keine Panzer liefern – die Sicht eines ehemaligen Wehrmachtssoldaten“ wurde der Panzersoldat Joachim Höppner, der heute 96 Jahre alt ist, interviewt. Was ein Zeitzeugengespräch zu einem interessanten Thema hätte werden können, ging völlig in die Hose, denn anstatt mit dem alten Herrn kritisch über seine Zeit in der Armee Hitler-Deutschlands zu sprechen, ließ man ihn erklären, warum Deutschland keine Waffen an die Ukraine liefern sollte. Höppner diente in den Panzertruppen, bereute dies, und wurde nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches eifriger Bürger in der nächsten Diktatur auf deutschem Boden, wie der Beitrag immerhin auch erwähnt. Heute sei er durch seine Erfahrungen aus dem Krieg Pazifist.
Höppner wandte sich wohl mit einer Zuhörermeldung an Friedbert Meurer, den Leiter Aktuelles des DLF, der dann Moritz zu dem Mann schickte, um seine Meinung aufzunehmen, wie Meurer es in einer Sendung beschrieb (zu dieser Sendung komme ich auch noch). Soweit kein Problem. In dem Beitrag darf Höppner jedoch völlig ohne Erklärung sagen, dass er gegen die Panzerlieferungen Deutschlands an die Ukraine ist, weil er einst selbst in einem Panzer diente und Angst hatte, darin zu sterben. Als Kriegsgefangener kam er dann nach Kriegsende in die Ukraine und sah zerstörte Städte wie Sumy und besonders Kyjiw. Das zerstörte Kyjiw führt er als Argument an, warum Deutschland keine Waffen liefern sollte und es sofortige Friedensverhandlungen zur Beendigung des Krieges geben sollte.
Was die Hauptprobleme mit dem Beitrag des DLF sind
Ich war und bin bezüglich dieses Beitrags weiterhin fassungslos. Das sage ich ganz bewusst als Journalist, als Experte für die Geschichte Osteuropas und der Ukraine und auch als Deutscher. Aus jeder dieser Sichtweisen ist der Beitrag fraglich, manche Argumente sind stärker, manche schwächer.
Probleme aus journalistischer Sicht
Aus journalistischer Sicht ist besonders eklatant ein Mangel an kritischer Nachfrage und Einordnung zu beklagen. Zwar verweist der DLF in einem Blogbeitrag mit der Stellungnahme zur Debatte (mehr dazu auch gleich noch) darauf, dass man umfassend über das Thema berichte. Das mag auch durchaus so sein. Im Beitrag wird die Sichtweise von Joachim Höppner jedoch gar nicht eingeordnet. Weder wird die Debatte wiedergegeben, noch wird eine gegenteilige Sichtweise angeführt.
Thomas Dudek vom ZDF merkt zudem an, dass man wenigstens noch polnische oder britische Veteranen hätte zu ihrer Meinung befragen können, um die Sicht eines Nazisoldaten ein wenig ins Gleichgewicht zu rücken.
Auch werden die Hörer nicht daran erinnert, dass Höppner als Soldat für Nazideutschland am Zweiten Weltkrieg teilnahm. Dass sich also andere Länder mit Waffengewalt gegen diesen Aggressor wehren mussten, um den Krieg und die deutsche Besatzung zu beenden. Weder hierzu, noch zu den Kriegshandlungen, an denen Höppner laut eigenen Angaben beteiligt war, gibt es dem Hörer ersichtliche kritische Nachfragen. Und das obwohl Alexander Moritz laut eigenen Angaben zweieinhalb Stunden mit Höppner sprach und der durchaus durchblicken lässt, dass er auch Zeuge von Dingen geworden ist, die wohl ziemlich grausam waren. Dass er aus seinem Trauma nun diese Schlüsse zieht, ist mehr als traurig.
Auch dass Höppner nach dem Krieg in der SED eine neue Heimat fand und seine Meinung zu einem großen Teil in dieser angelernten Haltung begründet liegen dürfte, wird in dem Beitrag nur im Nebensatz erwähnt. Bücher, die Quellen seiner fragwürdigen Ansichten zu sein scheinen, werden nur kurz erwähnt. Es ist eine abstruse Mischung: Clausewitz, Marx, Engels und Jürgen Todenhöfer.
Probleme aus Sicht eines Experten für Die Geschichte Osteuropas
Warum man nun ausgerechnet den Soldaten einer Armee befragt, die fast ganz Europa überfallen und in Schutt und Asche gelegt hat, während wieder ein Land ein anderes in Schutt und Asche legt, das werde ich wohl nie verstehen. Wie in der Debatte der vergangenen Tage richtig erinnert wurde, war die Wehrmacht keineswegs eine saubere Truppe. Diesen Mythos von Altnazis, die die Naziarmee von Kriegsverbrechen reinwaschen wollten, legte schon die Wehrmachtsausstellung, die auch ich als Jugendlicher besucht habe, ad acta. Auch die 2. Panzer-Division, der Höppner laut eigenen Angaben ab 1944 angehörte, war vielfach an Vernichtungsfeldzügen beteiligt, unter anderem auch am Überfall auf Polen und später auf die Sowjetunion. Auch wenn Höppner aufgrund seines altersbedingten späteren Einstiegs nicht teilnahm, so war er dennoch Teil der Truppe.
Wie die Historikerin Franziska Davies in einem Tweet richtig ausführt, fehlt komplett die Analyse, wer an dem Krieg in der Ukraine schuld war, genau wie man es in Bezug auf dem Zweiten Weltkrieg nicht erwähnt. Kyjiw wurde zerstört. Dass es von den deutschen Truppen zerstört wurde, für die Herr Höppner Panzer gefahren ist, erwähnt der Beitrag mit keinem Wort. Dass die Sowjetunion, in deren Reihen unter anderem auch Millionen Ukrainer kämpften, Nazideutschland mit Waffengewalt besiegt hat, bleibt auch im Dunkeln. Genau auch wie der Fakt, dass die UdSSR erhebliche Waffenlieferungen von anderen Alliierten erhalten hat und ohne die sie vermutlich von Nazideutschland überrannt worden wäre. Ein Fakt, den besonders die russische Geschichtsschreibung mit Bezug auf den „Großen Vaterländischen Krieg“, gern verschweigt.
Probleme aus Sicht eines Deutschen
Warum ausgerechnet ein Deutscher sich erlaubt, der Ukraine Ratschläge zu erteilen, ist mir schleierhaft. Warum man dann gerade als Beispiel einen Panzerfahrer aus Nazideutschland heranführt, der ausgebildet wurde, um im Namen unseres Landes Kriegsverbrechen zu begehen, hinterlässt mich einfach nur beschämt.
Deswegen habe ich in meinem viralen Tweet auch angeführt, dass dieser Beitrag des DLF symbolisch für die Schlagseite der deutschen Debatte um Waffenlieferungen an die Ukraine steht. Wir erdreisten uns, den Opfern eines Angriffskrieges Waffenlieferungen zu verweigern, mit denen es sich gegen Raketenangriffe, Massenbombardierungen, tausendfachen Mord, Vergewaltigungen, Folter und Plünderungen wehren will. Und das obwohl man sich dieser Kriegsverbrechen nur mit Waffen erwehren konnte, als sie im Namen Deutschlands begangen wurden. Wer das nicht für eine himmelschreiende Geschichtsvergessenheit hält, der braucht mir nichts von Friedensliebe und Antikriegshaltung zu erzählen.
Deutsche haben in Osteuropa nicht nur Russen ermordet, sondern Ukrainer, Polen, Balten etc. Für lange Zeit sogar gemeinsam (Stichwort Hitler-Stalin-Pakt). Man kann diese Aspekte mit so vielen historischen Fakten unterstreichen. Fakt ist aber, dass viele Deutsche zum einen wenig bis nichts von Osteuropa wissen oder wissen wollen. Und zweitens sie ihre „Friedensliebe“ nur aus egoistischen Gründen vorschieben und sich dann Bestätigung für ihre oft antiamerikanische und antiwestliche Grundhaltung bei Putinfreunden von rechts und links suchen.
DLF diskutiert mit sich selbst über Berichterstattung zu Waffenlieferungen
So setzte auch der DLF am selben Tag des Beitrags zum Wehrmachtsopa noch eins drauf. Im Nachmittagsprogramm lief der DLF-Medienpodcast „Nach Redaktionsschluss“. In der Sendung war diesmal besagter Friedbert Meurer, Leiter Aktuelles beim DLF, dabei. Gesprochen wurde mit einem „Hörer“, einem Dieter Reeg. Reeg findet, dass die Debatte beim DLF Schlagseite hat. Er wünscht sich mehr kritische Meinungen, meint dass der DLF Kritiker der Waffenlieferungen mehr grille, als Befürworter.
Ex-General Erich Vad, der bei jeder seiner Vorhersagen zum russischen Krieg in der Ukraine falsch lag, findet Reeg gut. Reeg lässt sich dann auch nicht von den Fakten und Argumenten von Friedbert Meurer überzeugen. Obwohl Meurer laut eigenen Angaben vier Kollegen hat, die Ukraine-Experten sind und das Ukraine-Team der Redaktion bilden. Diese beraten für die Auswahl von Gästen, bereiten wohl auch die Fragen vor. Meurer erklärt auch die Beweggründe, wie und warum man das auswählt. Passt Herrn Reeg alles irgendwie nicht. Zu wenig Kritiker etc.
Im Gespräch machte mich dann aber ein Nebensatz stutzig, den der DLF selbst erwähnt: Reeg war oder ist selbst für die Öffentlich-Rechtlichen tätig. Er arbeitete für die ARD-Finanzredaktion, wird in einer Beschreibung als Mitarbeiter aufgeführt. Zudem hat er mindestens einen Beitrag für den DLF selbst produziert. Es diskutiert also der DLF mit einer angeblichen Stimme des Volkes. Dass es diese Stimmen durchaus gibt, das bezweifele ich nicht. Gerade deshalb ist es aber umso fragwürdiger, warum man dann einen (Ex-?)ARD-Mitarbeiter einlädt dazu zu sprechen. Auf Twitter hab ich das Selbstreferentialität genannt. Annette Werberger, Professorin an der Viadrina, erinnerte mich daraufhin daran, dass sowas ausgerechnet in der UdSSR häufig stattfand. „In der Sowjetunion war ein solcher Vorgang die selbstorganisierte Stimme aus dem ‚Volk‘, die aber zufällig immer zum neuesten Spin der politischen Linie passte.“
Ich möchte dem DLF keine Absicht unterstellen, aber im Rahmen dieser Debatte, ist es nochmal mindestens ungeschickt. Zumal Herr Reeg leider keine Fakten liefert, sondern nur ein Bauchgefühl, was sich auch mit der halbstündigen Sendung nicht abstellen lässt. Oder wie Annette Werberger es treffend formuliert: „Es ist wie häufig bei Kritikern des ‚Mainstream‘-Journalismus ein Gespräch auf der Metaebene. Man schreibt Ideologie zu, weil man selbst ideologisch denkt. Es geht nicht um Argumente für oder gegen Bewaffnung. Argumente hat man nicht, man kritisiert deswegen den Rahmen.“
Deutschlandfunk Reagiert: Wird es noch schlimmer?
Dass der DLF leider absolut gar nichts aus der bisherigen Debatte speziell um den Beitrag gelernt hat, konnte man in einem Blogbeitrag vom Sonntag erfahren.
Leider hat sich der Verfasser oder die Verfasserin des Blogbeitrags selbst nicht einmal die Zeit genommen, sich kritisch mit dem Beitrag auseinanderzusetzen. Denn sonst hätte man dort nicht geschrieben, dass „Höppner schildert, wie er 1944 als 19-Jähriger in einem Panzerregiment die Schlacht in den Ardennen erlebt hat“. Denn im Beitrag von Alexander Moritz erzählt Höppner nämlich explizit, dass er das gerade nicht getan habe, denn er sei dafür von seinen Kommandierenden als zu jung erachtet worden und blieb stattdessen bei den Versorgungstruppen im Hinterland.
Im Blogbeitrag erwähnt man stattdessen, dass Höppner von den „Zerstörungen in der Ukraine – angerichtet von der Wehrmacht“ – „schockiert und bestürzt“ gewesen sei, als er dort als Kriegsgefangener nach dem Krieg hinkam. Doch dann fragt man sich nach der nun dreitätigen Debatte: Warum wird das weiterhin im Originalbeitrag nicht erwähnt? Wer die Zerstörungen angerichtet hat, wird dort nicht genannt und auch der weitere Hintergrund, wie oben erwähnt, fehlt.
Stattdessen schreibt der Verfasser oder die Verfasserin: „Der Deutschlandfunk macht sich nicht die Aussage von Joachim Höppner zu eigen.“ Davon war ja auch nicht die Rede. Es geht darum, ob man solche eine Stimme zu dem Thema überhaupt hören muss und wenn, wie man ihn dort einordnet.
Und als ob nichts gewesen wäre, kündigt man an, dass man genauso weitermachen wolle wie bisher.
Bravo Deutschlandfunk! Ich freue mich schon auf euren nächsten Beitrag aus der Reihe. „Keine Waffen an Israel liefern – die Sicht eines ehemaligen SS-Mannes“.
Sehr guter Text! Respekt!
Als bisher begeisterter Hörer des DLF, habe ich natürlich auch diesen Beitrag gehört. Ich muss zugeben, ich war daraufhin verstört. Nun habe ich als journalistischer Laie leider nicht das analytische Ohr um sofort zu erkennen, was dieser Bericht eigentlich liefert. Bestimmt hat mich auch meine eigene Arbeit daran gehindert, mich mit dem Thema und der Geschichte genauer zu befassen.
Daher finde ich es überaus wichtig, dass es nun diesen aufklärenden Artikel von Peter Althaus gibt. Erst jetzt sehe ich die ganze Ungeheuerlichkeit in diesem Beitrag des DLF. Dafür möchte ich mich bedanken.